In meiner Kindheit hatte ich nur wenig emotionalen Support, durchweg hatte ich das Gefühl nicht gut genug zu sein. Rückblickend realisiere ich, dass ich all die Jahre fremdbestimmt lebte, auf der Suche nach Zugehörigkeit und Zuneigung–und war dabei so empfänglich für die Meinungen anderer. Ein negativer Selbstwert war die Folge. Natürlich war mir das damals als Kind gar nicht bewusst.
In meiner Familie tat man sich schwer mit physischer Nähe. Wärme, Geborgenheit und Sicherheit? Fehlanzeige. Als kleines Mädchen wünschte ich mir nichts mehr als in den Arm genommen zu werden. Ich habe mir vorgestellt wie schön es sein müsste, jemand würde sich jetzt neben mich ins Bett legen und mir Gute-Nacht-Geschichten vorlesen, bis ich eingeschlafen bin. Aber das blieben nur unerfüllte Träume. Das kleine Mädchen wollte gesehen werden, geschätzt, geliebt–und das bedingungslos. Aber Wertschätzung, Anerkennung und Liebe gab es in meiner Familie nur, wenn ich gute Noten nach Hause brachte, irgendwas Tolles geleistet hatte, die Beste in etwas war, sowas halt. Das war alles, was zählte. Tag ein Tag aus versuchte ich Erwartungen und Anforderungen zu erfüllen, die man an mich stellte–in der tiefen Sehnsucht nach Wertschätzung. Warum war ich nicht – und sowieso nie – genug, egal was ich tat? Was bin ich wert? Und wovon hängt dieser Wert ab?
Ich wuchs mit der Vorstellung auf, dass Wertschätzung an Erfolg gekoppelt sei. Das führte langfristig dazu, dass auch ich meinen Selbstwert von meinen Leistungen abhängig machte. Ich hatte (so tief!) verinnerlicht, dass ich nur dann etwas wert bin, wenn ich Karriere mache. Meiner Familie schwebte vor, ich werde Ingenieurin. Die Tatsache, dass ich weder Mathe noch Physik beherrschte, war ihnen dabei gänzlich egal. Die, dass meine Interessen viel eher im kreativen Bereich liegen auch. Ach und kreative Arbeit war und ist in meiner Familie sowie keine richtige Arbeit. Logisch!
Mein allererster Freund half mir damals als ich etwa siebzehn war dabei, zu verstehen, dass meine familiären Abhängigkeiten toxisch für mich waren, und es besser sei, mich von meiner Familie zu lösen, mutig und losgelöst meinen eigenen Weg zu gehen, ganz selbstbestimmt. Seither ist es mein größter Wunsch finanziell, beruflich und physisch vollkommen frei und unabhängig zu werden, zu sein und zu bleiben.
Mental war ich dazu bereit, doch physisch noch lange nicht. Denn ich war schwer krank–und das sollte auch noch neun weitere Jahre so bleiben, bis zu dem Jahr (2016), in dem ein operativer Eingriff mein Leben völlig umkrempelte. Die lange Zeit dazwischen allerdings, in der ich finanziell sehr abhängig war–von Personen, die mir nicht guttaten, führte mir schmerzlich vor Augen, dass die Kranken und Schwachen in unserer Gesellschaft nichts wert sind. Sie passen halt nicht ins System. Wertschätzung bekommst du hier nur, solange du funktionierst, arbeitest und gesund bist–dich still und leise einfügst. Das ist traurig; macht mich traurig.
Vor gut einem Jahr saßen ein sehr vertrauter Freund und ich gemeinsam in meinem Lieblingsrestaurant in Berlin-Neukölln. Irgendwann, mitten im Gespräch, fiel der Satz: „Lisa, du bist wertvoll.”–der ging mitten ins Herz, so tief. Ein wohltuendes Gefühl von Geborgenheit durchströmte meinen Körper. So bizarr es auch klingen mag, aber mein inneres Kind kam dort zum Vorschein, die kleine Lisa fühlte sich gesehen, an die Hand genommen. Du bist wertvoll. So liebevolle und zärtliche Worte wie diese waren komplettes Neuland für mich. An meinen Wangen kullerten warme Tränen hinunter.
Erst hier und heute – mit almost 30 – lerne ich in Babyschritten einen positiven Selbstwert zu entfalten, mich selbst anzunehmen und wertzuschätzen, so wie ich bin, auf meine eigene Intuition zu hören, und dieser auch zu vertrauen und zu folgen. Im Leben geht es ums harmonische Miteinander, um Herzlichkeit und allen voran: um Liebe. Ich bin so dankbar, dass ich mittlerweile einen Freundeskreis habe, der wie Familie für mich ist. Die Familie, die ich nie hatte, aber immer haben wollte. Meine Wahlverwandtschaft. Ich muss niemandem mehr irgendwas beweisen oder um Anerkennung kämpfen. Hier bin ich plötzlich okay, so wie ich bin. Ich bin wertvoll, voller Wert. Und du bist es auch!
Über unsere gelebten und nicht gelebten Kräfte und Emotionen.
Journaling ist eines der zugänglichsten und wirksamsten Tools zur Selbstreflexion und zum Ausdruck von Gedanken und Gefühlen
Ich zeige mich von meiner verletzlichsten Seite und teile offen und ehrlich meine Wahrheit mit dir.
Leave a Reply